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Früher,
vor 20, 30 Jahren, waren Jugendliche "links", was
allerdings oft mehr einer allgemeinen Haltung als expliziten
Positionen entsprach; nicht selten erschöpfte sich das
politische Bewusstsein in langen Haaren und einer Latzhose.
Heute sind sie mancherorts - häufig im Osten - "rechts"
-, und auch hier spielen Kleidung und Outfit eine wichtige Rolle.
So definieren Springerstiefel und Bomberjacke auch für
den 16-jährigen Schüler Martin die Zugehörigkeit
zu seinen "Kameraden", selbst wenn die Mutter gegen
das schwere Schuhwerk schimpft und sein Kopf nicht kahlgeschoren
wie der vieler seiner Freunde ist. Eine Handvoll Feindbilder,
grölende Rituale und ein martialisches Rudelverhalten zählen
zwar auch zur Grundausstattung von Martins deutsch-nationaler
Peer-Group, doch der etwas genauere Blick von Heike Schobers
und René Zeuners Spielfilmdebüt "Platzangst"
enthüllt durchaus Widersprüchliches:
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Martins bester Freund David kämpft mit seinen uneingestandenen
Gefühlen für Männer, kollektive Saufgelage sind
nicht für alle die Erfüllung ihrer Wünsche, Schlägereien
durchaus etwas, was auf der Seele lastet. "Glatzen"
können sogar über sich selbst lachen, wenn nicht gerade
die Demonstration von Stärke alle Differenzierungen beiseite
wischt.
Warum das so ist, kann "Platzangst"
nicht erklären, weil der Film das Resultat eines jugendpädagogischen
Experiments ist, in dem ein authentischer Stoff für die
Leinwand adaptiert wurde. Co-Regisseurin Schober war einige
Jahre zuvor bei einem Theaterprojekt mit Schülern einem
Jungen aus der rechten Szene begegnet, der sich in ein Mädchen
russischer Abstammung verliebt. Seine Freunde aber waren nicht
bereit, dies zu tolerieren, sondern forderten ein Ende der Beziehung.
Ein Konflikt, der tief greifende Gefühle in Frage stellte
- und für Schober zum Aufhänger eines ungewöhnlichen
Engagements wurde. Sie verwandelte ihre Erlebnisse und Beobachtungen
in ein Skript, gewann damit die Kinder- und Jugend-Kunst-Galerie
"Sonnensegel e.V." ihrer Heimatstadt Brandenburg an
der Havel und setzte die Geschichte mit 250 Schülern und
einem professionellen Mini-Team schließlich für die
Leinwand um. Das Ergebnis überrascht: Was nach Laientheater
klingt, entpuppt sich auch als ästhetisch durchaus gelungener
Film, der spannend unterhält und mit einem cleveren Ende
für Gesprächsstoff sorgt.
Obwohl vor der Kamera bis
auf Detlev Buck und Heike Schober nur Jugendliche aus Brandenburg
standen, wirkt deren Spiel überzeugend und echt, was mit
einem ausgeprägten Typecasting und den spezifischen Produktionsbedingungen
zusammenhängt, bei denen es mindestens ebenso um ein gesellschaftliches
Anliegen - den Dialog der unterschiedlichen Jugendszenen - wie
um den Film ging. Die Souveränität der jungen Hauptdarsteller
vor der Kamera reicht sogar zur selbstironischen Geste in einer
Szene, in der für einen Theaterauftritt geprobt wird; auf
Close ups oder Schuss-Gegenschuss-Auslösungen verzichtet
der Film wohlweislich. Mancher Holperer ist mehr dem mageren
Budget geschuldet, aber auch erzählerisch-dramaturgischen
Schwächen, die verschiedene Subplots klischeehaft erscheinen
lassen oder nur unzureichend integrieren.
Doch darum geht es bei "Platzangst" nicht in erster
Linie. Was der Film leistet - und vor ihm wohl auch sein Projekt
-, ist die Nahaufnahme einer zu Recht übel beleumundeten
Jugendszene, die hier nicht analysiert, sondern eher porträtiert
wird. Was dabei hinter dem schnittig-martialischen Erscheinungsbild
zum Vorschein kommt, sind Heranwachsende, die - wie zu anderen
Zeiten auch - nach Identität und persönlicher Integrität
suchen - wobei sie sich von den vorgefundenen Mustern zugleich
abgrenzen und selektiv doch bedienen. Dass rechtsradikale Phänomene
mit Verlust oder Versagen der Väter zu tun haben, sollte
die gesamtdeutsche Gesellschaft vielleicht aufs Neue beschäftigen
- wie auch der Mut einer Einzelnen, sich dem Zwang der gewachsenen
Verhältnisse in den Weg zu stellen. "Platzangst"
ist deshalb ebenso sehr ein Beispiel für Zivilcourage wie
für das cineastische Vermögen, kollektive Zusammenhänge
transparent zu machen.
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